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Der spätgotische Schnitzaltar in der Stephanuskirche

Am 22. April 1491 bekam Hans I. die Herrschaft Hohenkarpfen mit der Bergfeste Hohenkarpfen und den beiden Dörfern Hausen ob Verena und Rietheim von seinem Vater, dem württembergischen Grafen Eberhard im Bart, verliehen.

Eine seiner ersten Amtshandlungen scheint die Stiftung eines Altaraufsatzes für das kurz zuvor erbaute Hausener Kirchlein gewesen zu sein. In der Stephanuskirche hatte bis dahin etwas Entscheidendes gefehlt: Zentrum einer spätgotischen Dorfkirche um 1500 war stets ein kunstvoll gestalteter Schnitzaltar, der am Scheitelpunkt des Chorraums hoch aufragte und die Blicke der Kirchenbesucher auf sich zog.

Ein solcher spätgotischer Hochaltar, der sich aus den zusammenklappbaren, in Elfenbeintäfelchen geschnitzten Triptychen des frühen Mittelalters zum großartigen, den hohen Chorraum beherrschenden Schaukasten religiöser Andachtsbilder entwickelt hatte, war folgendermaßen aufgebaut: Über der als Steinplatte auf dem Altar liegenden Mensa (lateinisch mensa „Tisch“) erhob sich der dreiteilige Aufbau des Altarretabels (lateinisch retro tabula altaris „Tafel hinter dem Altar“): Die als Unterbau dienende Predella (italienisch „Stufe“, „Tritt“) trug den durch zwei Flügeltüren verschließbaren Altarschrein, der wiederum von einem kunstvoll geschnitzten Gesprenge gekrönt wurde. Während in der Predella manchmal Reliquien untergebracht waren, enthielt der Altarschrein meistens holzgeschnitzte, in Farben und Gold gefasste Heiligenfiguren.






In der Hausener Stephanuskirche war der spätgotische Hochaltar ziemlich sicher ursprünglich zwischen den beiden Ostfenstern des Chors angebracht – dort, wo heute die Orgel erklingt. Was bis heute von ihm erhalten blieb, sind die Predella mit einer Darstellung von Christus und den zwölf Aposteln, die drei Heiligenfiguren Stephanus, Muttergottes und Barbara aus dem Altarschrein und die beiden fliegenden Engel, die ursprünglich im Gesprenge die Krone über die Madonna gehalten haben. Sowohl der Altarschrein und als auch das sich darüber befindliche Gesprenge sind nicht mehr erhalten, weshalb wir auch nicht wissen, ob der Altarschrein tatsächlich mit Altarflügeln – Festtagsseite innen und Werktagseite außen – ausgestattet war.

Während Predella und Engelchen seit 1500 stets in der Stephanuskirche geblieben sind, wurden die drei Heiligenfiguren höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit der Reformation nach Gunningen gebracht, dessen Pfarrei Ausgangs des Mittelalters mit der Hausener zusammengelegt worden war. Da Gunningen – im Gegensatz zu Hausen – die Reformation nicht mitmachte und auch nach der Reformation unter dem Patronat des Klosters St. Georgen katholisch blieb, konnten die Bewohner der Ostbaargemeinde Stephanus, Barbara und die Muttergottes als „Glaubensflüchtlinge“ aufnehmen, während die evangelischen Hausener die Verehrung der Heiligen theologisch ablehnten. Dasselbe Schicksal widerfuhr auch einer Anna Selbdritt, die heute als Teil der Sammlung Dursch im Dominikanermuseum in Rottweil zu sehen ist. 1908 wurden die drei Heiligenfiguren in Gunningen entdeckt, von der Königlich-Württembergischen Altertumssammlung aufgekauft und gehören heute zum Bestand des Landesmuseums in Stuttgart.

Als die Stephanuskirche 1965 bis 1967 unter Pfarrer Martin Werner renoviert wurde, fanden die bis dahin in der Stephanuskirche verstreuten Einzelteile des spätgotischen Altars wieder zusammen – nun jedoch an der Nordwand des Chorraums. Da keine Aussicht bestand, die zwischen 1480 und 1490 entstandenen Heiligenfiguren vom Landesmuseum wieder zurückzubekommen, wurden 1988 vom Bildhauer Josef Schiller aus Krumbach Kopien von Barbara, Stephanus und der Muttergottes angefertigt. Wie die Originale sind sie aus Lindenholz geschnitzt – jedoch nicht farblich gefasst. Beim Betrachten bekommt man dennoch eine Ahnung vom Aussehen des ursprünglichen Schnitzaltars – zumal die Predella, die drei Heiligenfiguren und die beiden Engel in ihrer ursprünglich spätgotischen Anordnung aufgehängt wurden. Wenn man sich den Altarschein und das Gesprenge als Rahmen hinzudenkt, bekommt man eine Ahnung von der kunstsinnigen Frömmigkeit der Herren von Karpfen.

MF