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Ernst Rieß: Interieur der Stephanuskirche von Hausen ob Verena, 1922

Dauerleihgabe an die Evangelische Kirchengemeinde Hausen ob Verena

Unter den Aquarellen von Ernst Rieß (1884 – 1962) – sie bilden gemeinsam mit seinen Zeichnungen, Radierungen, Holzschnitten, Lithografien und Gemälden den Grundstock der Sammlung der regionalen Kunststiftung Hohenkarpfen – findet sich eine seltene Ansicht des Jugendstil-Interieurs der Stephanuskirche von Hausen ob Verena aus dem Jahr 1922.

Ernst Rieß war eng mit Hausen ob Verena verbunden. Der Freiburger Künstler verbrachte in seiner Kindheit viel Zeit bei seinen Großeltern mütterlicherseits in der Luckte. Zu Beginn der 1920er Jahre, der Erste Weltkrieg war gerade vorüber, nahm Ernst Rieß mit seinen Werken an ersten Ausstellungen teil. In dieser künstlerischen Aufbruchphase entstand 1922 das Aquarell des Interieurs der Stephanuskirche.

Die Farbigkeit – im Gegensatz zur Schwarz-Weiß-Fotografie von 1930 im Heimatbuch von Hausen ob Verena – überrascht mit präzisen Details: Auffallend sind die blauen Samtbehänge an Kanzel, Altar und Taufstein, die mit der blauen Kassettendecke im Kirchenschiff und mit dem blauen Chorbogen korrespondieren. Die Kanzel scheint damals deutlich heller gefasst gewesen zu sein als heute – offensichtlich wurde sie 1921 im Jugendstil renoviert, wie auf dem Aquarell im zweiten Feld des Kanzeldeckels zu lesen ist. Auf dem Schalldeckel der Kanzel sieht man noch die beiden spätgotischen Engel, welche ursprünglich im Gesprenge des spätgotischen Hochaltars die Marienkrone zur Krönung der Muttergottes hielten.

Zum spätbarocken Ensemble von Kanzelkorb und Kanzeldeckel gehörte auch ein Gemälde Martin Luthers. Dieses wurde im 19. Jahrhundert – vermutlich im Zuge der Lutherrenaissance – durch den auf dem Aquarell von Ernst Rieß dargestellten Cranach-Luther ersetzt. 1967 verbannte Pfarrer Werner den Cranach-Druck auf die Pfarrhausbühne und hängte das barocke Luthergemälde zurück an seinen überlieferten Platz. So lassen sich auf dem Rieß-Aquarell nicht nur historische Entwicklungen nachvollziehen, sondern auch weitere bemerkenswerte Details entdecken, wie den kunstvollen Jugendstil-Leuchter im Kirchenschiff, die zwischen 1769 und 1965 den Chorraum beherrschende Orgelempore und die beiden Gedenktafeln für die Gefallenen des Krieges von 1870/71 und des Ersten Weltkrieges.

Die Kunststiftung Hohenkarpfen ließ dieses Ernst Rieß-Aquarell neu rahmen und überreichte es am Verenatag am 1. September 2023 als Dauerleihgabe an die Evangelische Kirchengemeinde Hausen ob Verena, die mit großer Freude herzlich dafür dankt.

Matthias Figel und Mark R. Hesslinger